Tagebuch eines Rebstocks

Das "Tagebuch eines Rebstocks" beschreibt die Geschehnisse in den Reben aus der Sicht eines Rebstocks. Diese interessante Erzählung wurden von Helene Bellwald geschrieben. Sie war Hotelière im Nest- und Bietschhorn im schönen Lötschental.
Nach einem Spaziergang durch unsere Rebberge und die Informationen von Olivier Mounir, was das ganze Jahr bei uns im Rebberg läuft, ist diese tolle Geschichte entstanden.
Begeben auch Sie sich auf eine Reise in unseren Rebberg.  

23. Januar

Vor ein paar Tagen hat Olivier mit seinem Team begonnen, uns zu schneiden. Alle geben sich grösste Mühe, dass aus uns was Gutes wird. Sie überlegen sich, welche Zweige sie schneiden, welche Triebe erst nächstes Jahr tragen sollen. Es ist wichtig, dass sie uns korrekt schneiden, damit wir nicht austrocknen und verkrümmen. Je besser sie uns pflegen, umso länger leben wir. Trotzdem, länger als dreissig Jahre schaffen wir es meistens nicht. Dann müssen wir durch junge Rebstöcke ersetzt werden.

14. Februar

Wie schön, auch heute sind alle wieder in den Rebberg gekommen. Sie sind unsere Freunde, weil sie uns mit ihren guten Gedanken und Wünschen begleiten. Besonders Olivier macht sich sehr viele Gedanken über uns. Er weiss, dass wir und unsere Mutter Erde chemischen Pflanzenschutz und Dünger gar nicht mögen. Eigens für uns hat er eine Wurmerde-Anlage gebaut, um uns mit Wurmerde zu düngen. So spriessen dann im Frühling zu unseren Füssen saftiges Gras und liebliche Blumen, die von unzähligen Insekten und Schmetterlingen liebkost werden.

4. März

Seit Wochen geniessen wir die Ruhe im Rebberg und tanken Kraft. Leider hatte es diesen Winter nicht allzu viel Schnee, der unsere Füsse bedeckte, sodass wir immer Angst hatten, erfrieren zu müssen. Aber jetzt spüren wir langsam den Frühling, die wärmenden Sonnenstrahlen. Die strenge Zeit des Treibens und des Blühens naht.

15. April

Olivier hat heute mit seinem Team begonnen, unseren Haupttrieb mit speziellen Klammern an die Drähte zu binden. Es ist eine harte und monotone Arbeit. Ich spüre aber, dass sich besonders Olivier entspannen kann, gar in eine meditative Stimmung verfällt. Das ist gut so, denn er muss sich nicht nur mit uns beschäftigen. Er ist auch dafür besorgt, unsere Trauben zu verarbeiten und verkaufen zu können. Das beansprucht sehr viel Zeit und persönliches Engagement.

2. Mai

Die Rhodan-Mitdenker beginnen heute mit Arbeiten, die wir nicht lieben. Sie foltern uns, das heisst, sie reduzieren unsere Fruchtbestände nach Menge und Qualität. Eigentlich ist es ja gut, wenn wir unsere Kraft an weniger Trauben verschenken. Das steigert die Qualität unserer Früchte. Und alle verstehen ihr Handwerk. Sie selektionieren vor allem nach ihrem Gefühl und ihrer Erfahrung.

29. Mai

Langsam wird es Sommer. Wir wachsen und gedeihen. Bei den Laubarbeiten werden unsere überflüssigen Seitentriebe geschnitten. Das ist gut so, denn diese Triebe tragen keine Trauben und kosten uns nur unnötig Kraft.

12. Juni

Wir gedeihen prima, deshalb werden wir mit Pflanzenschutz behandelt, einem biologischen Mittel, Kupfer und Schwefel. Es wäre schade, wenn wir mit dem unangenehmen Mehltau befallen würden. Ab und zu bekommen wir auch Brennessel-Tee, das tut gut. Heute haben sie auch das Gras in unseren Reihen gemäht.

25. Juli

Es ist wahnsinnig heiss hier an den Hängen des Rhonetals. Tagtäglich brennt die Sonne auf uns. Gut ist in unserem Weinberg eine Tropfbewässerung eingerichtet. Das frische Wasser rettet uns vor dem Vertrocknen. Wir sollen ja pralle Trauben produzieren, damit die Fässer gefüllt werden können.

 

1. August

Nationalfeiertag. Wider fliessen ein paar Tropfen von uns durch die Kehlen der Feiernden. Gut so, denn bald sind unsere Trauben reif und es gibt neuen Wein. Wir geniessen jetzt die Ruhe vor dem Sturm, denn Oliviers Team hat alle Arbeiten bei uns im Rebberg beendet.

 

20. September

Heute ist was los bei uns. Das ganze Mitdenker-Team mit zusätzlichen fleissigen Händen beginnt mit dem Lesen unserer Früchte. Das tut gut, denn in den letzten Wochen hingen sie schwer an unseren Zweigen. Der schöne Sommer und die gute Pflege des Teams haben uns reichlich mit Trauben beschert. Wir sind dankbar, endlich können wir die Arbeit aller lohnen.

 

23. Oktober

Unsere letzten Trauben werden geerntet. Es fühlt sich schon ein bisschen leer an, aber wir hätten auch keine Kraft mehr, sie zu tragen und zu versorgen. Wir saugen die letzten goldenen Sonnenstrahlen ein und sind froh, einfach mal nichts zu tun, ausser zu geniessen: einen gespritzten Kamillentee als kleines Dankeschön der Rhodan-Mitdenker!