In der Fachzeitschrift Obst- und Wein wurde ein Interview zwischen dem Chefredaktor Markus Matzner und Olivier veröffentlicht. Dabei verstand es der Journalist hervorragend, den Werdegang und die Denkweise von Olivier zu umschreiben.
«WIR SIND IN EINEM SCHLARAFFENLAND»
Mit Winzerblut gesegnet und doch ein Quereinsteiger: Olivier Mounir und seine Frau Sandra studierten beide zuerst Ökonomie, ehe sie sich entschlossen, das elterliche Weingut Cave du Rhodan zu übernehmen. Nun haben sie den Titel «Weingut des Jahres» erhalten und setzen sich für eine enkeltaugliche Landwirtschaft ein.
Der Berner Kursaal war wie schon bei früheren Austragungen des Grand Prix du Vin Suisse festlich gedeckt und bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gewinnerinnen und Gewinner der 13 Wettbewerbskategorien waren schon bestimmt worden und schon zweimal durfte der Salgescher Olivier Mounir und sein Kellermeister Nicolas Gaudin (siehe Abb. oben) der Cave du Rhodan das Siegerpodest erklimmen. Mit ihrem Syrah 2021 gewannen sie nicht nur bei den sortenreinen Rotweinen, sondern auch in der Rubrik der von Weinexperten vergebenen Kategorie «Coup de coeur». In der Folge warteten über 250 Augenpaare gespannt darauf, wer zum Weingut des Jahres gekürt werden würde. Mit Pauken und Trompeten verkündete der Laudator, dass es erneut die Cave du Rhodan zuoberst aufs Treppchen geschafft habe. Ein sichtlich überwältigter Olivier Mounir sowie sein ebenfalls leicht überfordert wirkender Kellermeister nahmen den aufbrandenden Applaus entgegen und stemmten die Siegertrophäe in den Hallenhimmel. Weingut des Jahres, ja damit hätten sie wohl nicht in ihren kühnsten Träumen gerechnet. Aus diesem Grund, so erzählt uns der Walliser später, waren seine Kinder und Ehefrau Sandra nicht nach Bern gekommen. Selbst einige Wochen nach dem Anlass spürt er noch immer die Gänsehautstimmung dieses Moments, so gesteht uns der Hausherr in seinem neugestalteten Ausschankraum, der direkt an den Barriquekeller grenzt. «Es war emotional. Fast wie bei einer Geburt oder bei der Hochzeit», schwärmt er. In diesem Moment, so fügt er an, war er stolz auf das Team, auf Gaudin, der neun Wochen fast ohne Unterbruch im Keller gearbeitet hatte, aber auch auf sich und die ganze Familie. Aber schon bei seinen Dankesworten in Bern unterliess er es nicht, daran zu erinnern, dass viele im Saal es ebenfalls verdient hätten, hier oben zu stehen. Und das war keine Floskel. Wer Mounir kennt, weiss: Bei ihm ist Bescheidenheit nicht einfach eine Zier, sondern tiefste Überzeugung und die Folge seines ausgeglichenen und besonnenen Temperaments.
ZAHLEN UND ESOTERIK
Die Familie Mounir bewirtschaftet die Cave du Rhodan seit 1962, Olivier und Sandra stehen nun in der dritten Generation. Was wie eine logische Folge aussieht, hätte genauso gut anders ablaufen können. Denn trotz vieler beachtlicher Erfolge des Weinguts – 1972 wurde ihr Pinot noir «Perle du Rhodan» zum besten Rotwein der Welt gekürt und 1988 waren Mounirs tatkräftig dabei, in Salgesch (VS) das erste Grand-Cru-Projekt der Schweiz aus der Taufe zu heben – wollte Mounir zuerst nichts von Wein wissen. Er studierte Ökonomie und Marketing und baute zusammen mit Partnern eine Informatikfirma auf. In den Nullerjahren musste die Nachfolgeplanung geregelt werden. Deshalb überlegte es sich das Ehepaar Mounir anders und sattelte um. Wie Mounir lachend erzählt, drückte er als 41-Jähriger erneut die Schulbank und lernte auf diese Weise junge und motivierte Jungwinzerinnen und -winzer kennen, holte sich Informationen, Inspirationen und das Winzermeisterdiplom in Wädenswil. Und eines war gleich von Beginn weg klar: Tradition hat für ihn nur so viel Wert, wie es zum Vorteil gereicht. Alte Zöpfe gehören abgeschnitten.
«Wir sprechen gerne von enkeltauglicher Landwirtschaft.»
Folglich bildete er sich weiter und landete schliesslich beim mittlerweile verstorbenen Andrew Lorand, einem charismatischen Verfechter der Steinerschen Biodynamik. Da hörte er erstmals von der Wirkweise des Präparats 500 (Hornmist) bzw. 501 (Horn- kieselmehl). Es mag verwundern, dass ein studierter Ökonom mit diesen esoterischen Konzepten etwas anfangen kann. Doch dieser relativiert: «Ich bin ein schlechter Zahlenmensch. Und was Rudolf Steiner betrifft, war er nicht mein ‘Guru’, sondern wir wollten herausfinden, wie wir unsere Weine noch besser machen könnten. Wir diskutierten verschiedene Ansätze, nicht nur den biodynamischen. Uns interessierte beispielsweise, wie man die Zuckerreife verlangsamen und die Fruchtreife beschleunigen kann. Da zeigte uns Andrew Lorand, dass sich dies mit der Biodynamik erreichen lässt.» 2007 wurden Marsanne blanche und Cornalin umgestellt, und weil nicht alles von Anfang an klappte, bemerkte Mounir sogleich, dass sture Dogmatik nicht viel nützt. «Ich mag keine Korsette», sagt er überzeugend und es macht ihm auch nichts aus, dass er aufgrund seines pragmatischen Eklektizismus weder bei den Bioleuten noch bei den Biodynamikern voll integriert ist. «Wir sind zwar ein Bio-zertifizierter Betrieb, aber wir sagen selbst, was wir richtig finden.» Genau diese Haltung führte dazu, dass er in den Hitzejahren 2018 und 2020 auf den Einsatz des in der Biodynamie obligatorischen Hornkiesels verzichtete, dass er bei Neupflanzungen immer mit Tröpfchenbewässerung arbeitet und dann und wann in Junganlagen mit Blattherbiziden nachhilft.
VERWURZELT UND DOCH MODERN
Die Cave du Rhodan bewirtschaftet rund zwölf Hektar auf den nach Süden geneigten Hängen rund um Salgesch und kauft noch etliche Tonnen Trauben hinzu. In den Siebzigerjahren wurden 350000L produziert, heute sind es gerade mal 150000L. Das sei kein Wunder, erklärt der Hausherr, die Erträge liegen heute bei rund 600 bis 900 g/m2. Fast schon abenteuerlich mutet der Sortenspiegel des Weinguts an. Neben den «üblichen Verdächtigen» wie Pinot noir, Fendant und Sylvaner, den Walliser Vorzeigesorten wie Syrah, Cornalin, Petite Arvine, Heida, Humagne blanche und rouge, gesellen sich auch «Exoten» wie Pinotage, Diolinoir, Divico und Rheinriesling hinzu. Insgesamt 28 Weine werden im digital steuerbaren und funktionalen Keller ausgebaut. Angesprochen auf diesen Umstand, meint Mounir lachend: «Die Vielfalt ist Fluch und Segen! Ich beneide unsere Bündner Kollegen, die an die Messen mit vier Weinen anreisen: zwei Pinots, ein Chardonnay und ein Completer, wenn’s hochkommt. Und wir kommen mit unserer Batterie. Aber bei uns wächst alles gut, wir sind in einem Schlaraffenland. Selbst Sorten wie Pinotage bringen schon nach kurzer Zeit schöne Weine.
«Wir sind zwar ein Bio-zertifizierter Betrieb, aber wir sagen selbst, was wir richtig finden.»
Wir können mit den Sorten spielen, deshalb nennen wir unsere Linie auch Diversitas.» Tatsächlich hätte man von einem Pragmatiker wie Olivier Mounir eher eine Reduktion der Sorten und Stile erwartet, ganz im Sinne des alten Slogans «reduce to the max», aber er belehrt uns eines anderen: «Mit unserer Grösse können wir Kompromisse eingehen. So kannst du Weine machen, die dir gefallen und solche, die sich gut verkaufen lassen. Wer nur das Seinige durchdrückt, stirbt unter Umständen in Ehren.» Hier spricht der Marketingfachmann und er doppelt gleich nach: «Eines ist auch ohne Studium klar: Man muss dem bestehenden Kundenstamm gut schauen. Als Nachfolger meines Vaters wollte ich neue Kunden gewinnen, aber es ist wichtig, auch die bestehenden Kunden mitzunehmen.»
Folglich glaubt Mounir auch weiterhin an den Pinot noir, den viele Journalisten aufgrund der Klimaerwärmung für diese Lagen als Auslaufmodell sehen. «Pinot hat hier eine Zukunft! Aber man muss die richtige Parzelle wählen, das richtige Laubmanagement, eine geeignete Begrünungsstrategie, sodann den richtigen Erntezeitpunkt und im Keller mit Kaltstandzeiten und zeitgemässer Technik arbeiten.» Das Ergebnis im Glas bestätigt das Gesagte. Der «Hommage» wirkt stilistisch wie ein burgundischer Pommard, besitzt eine rotfruchtige Nase und im Gaumen maskuline Tannine. Seit einiger Zeit gehört er auch zu den Weinen des «Mémoire des Vins Suisses». Der «Perle du Rhodan» ist leichter, fruchtiger und verfügt über Terroir-typische Carameltöne, die leichten Trockenstress verraten, was aber für die hiesigen Weine typisch ist.
NACHHALTIGKEIT IN DER VIERTEN DIMENSION
Wie fast überall ist auch bei Mounir das Stichwort Nachhaltigkeit unumgänglich. So liefern Photovoltaikanlagen den nötigen Strom für den digital betriebenen Keller, das Energiekonzept ist durchdacht und dank Wärmerückgewinnung sehr effizient. Mounir hat auch in den Reben ein neues Projekt aufgegleist, das demnächst realisiert werden soll: Ein faltbares Solardach über den Zeilen, das einerseits Schatten spendet und andererseits auch als Hagel- oder Frostschutzdach dienen kann. Die Vorstudien sind gemacht, jetzt muss der Kanton noch seinen Segen geben. Aber dem Winzer geht es nicht um spektakuläre Projekte, sondern um ein ganzheitliches Verständnis: «Wir arbeiten nun in der dritten Generation hier. Bei meinen Grosseltern standen noch existenzielle Fragen im Zentrum: Haben wir genug zu essen, können wir etwas ernten? Die nächste Generation konnte bereits in die Qualität investieren und erstmals Geld verdienen. Bei uns steht hingegen die Frage im Raum, was wir dem Boden zurückgeben können, damit die nächste Generation einen besseren vorfindet. Aus diesem Grund spreche ich gerne von enkeltauglicher Landwirtschaft.
Wir haben gleichsam den Begriff Nachhaltigkeit um die vierte Dimension erweitert und streben auch eine emotionale Nachhaltigkeit an, die das Verhältnis zwischen Weingut, Kunden und Produkt definiert.» Das Konzept geht auf, so viel steht fest, denn die Erfolge des Weinguts sprechen für sich. Umso mehr stellt sich die Frage, wie die Konkurrenz damit umgeht. In Graubünden gibt es das geflügelte Sprichwort, wonach der Föhn und der Neid die ältesten Bündner seien. Darauf angesprochen, ob dies auch fürs Oberwallis zutreffe, huscht ein Lachen über Mounirs Gesicht: «Hier ist es umgekehrt: Zuerst war der Neid, dann kam der Föhn!» Doch es wäre nicht Olivier Mounir, würde er nicht gleich nachdoppeln: «Klar habe ich es lieber, dass ein Kunde, wenn er in Salgesch ist, zu uns kommt. Aber mit Abstand betrachtet, ist es wichtig, dass er überhaupt nach Salgesch kommt, überhaupt Schweizer Wein kauft. Und wenn es hart auf hart geht, halten wir Walliser zusammen. Wie bei einem Cupfinal des FC Sitten.»
Das Interview wurde geführt von Markus Matzner, Chefredaktor Obst- und Weinbau.